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Evaluation der Brustkrebsmortalität im Deutschen Mammographie‐Screening‐Programm (Mortalitätsevaluation)

Überblick über die Ressortforschungsvorhaben des BMUV/BfS

Forschungs-/ Auftragnehmer: Universität Münster, Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Bereich Klinische Epidemiologie, Münster (Generalunternehmer)
Projektleitung:

2012 - 2019 Prof. em. Dr. Hans-Werner Hense

2020 - Ende Prof. Dr. André Karch, MSc und PD Dr. Heike Minnerup, MSc
Beginn: 06.06.2012
Ende: 31.12.2024
Finanzierung: rund 3.500.000 EUR

Frau bei einer Mammographieuntersuchung MammographiescreeningQuelle: Peakstock/Stock.adobe.com

Hintergrund und Zielsetzung

In Deutschland wird Frauen zwischen 50 und 69 Jahren1 alle zwei Jahre eine Röntgen-Mammographie angeboten. Dieses sogenannte Mammographie-Screening-Programm (MSP) dient der Früherkennung von Brustkrebs und wird im Rahmen eines organisierten und qualitätsgesicherten Programms durchgeführt.

Die Rahmenbedingungen des MSP Programms erfüllen die strengen Vorgaben der Eeuropäischen Leitlinien. Der laufende Betrieb des MSP wird regelmäßig evaluiert, dem Programm wird dabei eine gleichbleibend hohe Qualität bescheinigt. Verantwortlich dafür ist die Kooperationsgemeinschaft Mammographie in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung GbR (KoopG).

Doch überwiegt der Nutzen des MSPScreening-Programms, also die Zahl geretteter Frauen, auch heutzutage in Deutschland die möglichen Risiken für gesunde wie kranke Teilnehmerinnen? Die Ressortforschungsvorhaben des BfS zur Mortalitätsevaluation sollen darüber Aufschluss geben, indem sie den Einfluss des Programms auf die Brustkrebssterblichkeit in Deutschland untersuchen.

Denn gemäß §84 StrlSchG ist es Aufgabe des BfS, Früherkennungsuntersuchungen wie das deutsche Mammographie‐Screening‐Programm unter Abwägung von Risiko und Nutzen wissenschaftlich zu bewerten. Diese Bewertung stützte sich bislang auf die Ergebnisse großer internationaler randomisierter (also: unter Verwendung eines Zufallsmechanismus erstellter) Studien zum Mammographie‐Screening, die in den 1970er und 80er Jahren v. a. in England, Schweden und Nordamerika durchgeführt wurden. Diese Ergebnisse können aber zum einen aufgrund abweichender Gegebenheiten im deutschen Gesundheitssystem, zum anderen wegen der stetigen Weiterentwicklung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten nicht uneingeschränkt auf das deutsche Programm übertragen werden.

Methodik und Durchführung

Grafik der Auswertungsmodelle bei der Mortalitätsevaluation  (Bild hat eine Langbeschreibung) Übersicht über die drei AuswertungsmodelleÜbersicht über die drei Auswertungsmodelle

In den Vorstudien wurden mehrere Ansätze mit unterschiedlichen Datenbeständen und Auswertungsverfahren hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und Aussagekraft untersucht. Ein sogenannter Randomized Controlled Trial (RCT) hätte das höchste Evidenzlevel geboten, ist aber nach der flächendeckenden Einführung des Mammographie-Screening-Programms nicht mehr umsetzbar. Ansätze geringerer Evidenz haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, können sich aber kombiniert in ihren Ergebnissen gegenseitig ergänzen und bestärken. Daher werden in dieser Evaluationsstudie drei verschiedene Ansätze verfolgt.

Strategie der konvergierenden Evidenzen

Kassenbasierter AnsatzEinklappen / Ausklappen

Unterauftragnehmer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH und SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen

In sogenannten Emulated Target Trials (ETT) werden Abrechnungsdaten verschiedener regionaler und überregionaler Krankenkassen ausgewertet. Diese Daten decken zusammen bundesweit mindestens 40 % der anspruchsberechtigten Bevölkerung ab. Die Confounderkontrolle erfolgt u.a. über sogenannte Propensity Scores. Die in den Abrechnungsdaten fehlende Todesursache wird – soweit nicht in den regionalen Krebsregistern (EKR) verfügbar – mittels adaptierten Gagnon-Algorithmus ergänzt.

Bevölkerungsbasierter AnsatzEinklappen / Ausklappen

Unterauftragnehmer Landeskrebsregister (LKR) NRW

Basierend auf einer Vollerhebung aller anspruchsberechtigten Frauen in Nordrhein-Westfalen (ca. 25 % der deutschen Gesamtbevölkerung) werden sowohl ein ETT wie auch eine klassische Kohortenstudie durchgeführt. In beiden Studienansätzen werden im Sinne einer 2-Level-Sensitivitätsanalyse verschiedene Methoden zur Confounderkontrolle miteinander verglichen. Für die Vollerhebung werden die Daten des Landeskrebsregisters NRW, der lokalen Screeningeinheiten (SE) und der beiden Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein (KVNO) und Westfalen-Lippe (KVWL) datenschutzkonform zusammengeführt und blind anonymisiert.

Erweiterter KohortenabgleichEinklappen / Ausklappen

Unterauftragnehmer BIPS und LKR NRW

Für eine Subkohorte werden die detailreichen Daten des kassenbasierten Ansatzes mit Tumorinformationen aus dem Landeskrebsregister NRW angereichert. Dies ermöglicht feinere Analysen, um die Ergebnisse der primären Ansätze zu validieren, Limitationen zu evaluieren und die Aussagen zu erweitern (z.B. stadienspezifische Therapien).

Mit der vergleichsweise großen Datenbasis von über 10 Mio. anspruchsberechtigten Frauen in Deutschland und der exemplarischen Anwendung neuer methodischer Ansätze liefern die Vorhaben auch international einen wichtigen Beitrag zur Evaluation von Früherkennungsverfahren.

Methodische AnsätzeEinklappen / Ausklappen

  • ETT nutzen Designelemente von RCTs und vermeiden so die den Beobachtungsstudien per Design anhaftenden Verzerrungen (z.B. immortal time bias).
  • Propensity Scores werden aus einer Vielzahl von potenztiellen Confounder-Variablen für jede Person und jede Fragestellung separat errechnet und erlauben bei entsprechender Detailtiefe der Datengrundlage eine fein justierbare Korrektur weiterer Verzerrungen.
  • Der adaptierte Gagnon-Algorithmus leitet die wahrscheinlichste Todesursache aus den in den Krankenkassendaten gespeicherten Informationen zu Behandlung und Medikation ab.
  • Die 2-Level- Sensitivitätsanalyse vergleicht den klassischen Korrekturfaktoransatz mit einer Weiterentwicklung desselben auf Basis eines alternativen Trendfaktors, einer alternativen Schätzung des Korrekturfaktors mittels Überlebenszeitanalyse und einem Negative- Control- Outcome-Ansatz, um die Spannbreite an möglichen Effektstärken abzuschätzen.
  • Blinde Anonymisierung gewährleistet den Datenschutz bei der Zusammenführung hochsensibler Daten, indem die zur Wahrung der Anonymität notwendigen Vergröberungen einzelner Variablen aus den pseudonymisierten Daten ohne vorherige Entschlüsselung ausgewählt werden können.

Details hierzu sind den Berichten der Ressortforschungsvorhaben (siehe "Zum Thema") zu entnehmen.

Ablauf und Organisation

Im Rahmen mehrerer, aufeinander aufbauender Ressortforschungsvorhaben wird über einen Zeitraum von gut zehn Jahren der Frage nach dem langfristigen Effekt des Mammographie-Screening-Programms auf die Brustkrebsmortalität in Deutschland nachgegangen:

  • Von Mitte 2012 bis Herbst 2016 wurde in einer zweistufigen Machbarkeitsstudie (MBS) die Durchführbarkeit der Datensammlung unter den in Deutschland herrschenden technischen, organisatorischen und (datenschutz-)rechtlichen Gegebenheiten festgestellt. Die für die Datensammlung notwendigen Strukturen wurden konzipiert und entwickelt.
  • In der ebenfalls zweistufigen Hauptstudie (HS, 2018-2024) werden die Daten gesammelt und nach einem komplexen Studienkonzept in mehreren parallelen Ansätzen ausgewertet.
  • Die nachfolgende Aufbereitung der Ergebnisse wird mehrere Monate in Anspruch nehmen. Mit einer Veröffentlichung ist daher frühestens Mitte 2025 zu rechnen.

Grafische Darstellung der organisatorischen Ausgestaltung der Evaluation der Brustkrebsmortalität im Deutschen Mammographie‐Screening‐Programm (Bild hat eine Langbeschreibung) Übersicht über die organisatorische AusgestaltungÜbersicht über die organisatorische Ausgestaltung

Finanziert werden die Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von rund 10 Millionen Euro durch das Bundesumweltministerium (BMUV), das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sowie die Kooperationsgemeinschaft Mammographie (KoopG). Über die grundsätzlichen Inhalte entscheidet ein Steuerungsgremium, das von einem Wissenschaftlichen Beirat beraten wird. Dem Steuerungsgremium gehören neben den Finanziers auch der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) und eine Patientenvertretung an. Die fachliche und administrative Abwicklung obliegt dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Federführender Forschungsnehmer ist die Universität Münster. Sie koordiniert die drei Unterauftragnehmer: das Landeskrebsregister Nordrhein-Westfalen (LKR NRW), das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH und das SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

[1] Künftig wird die Altersspanne ausgeweitet. Auf die Forschungsvorhaben hat dies allerdings keinen Einfluss mehr.

Stand: 13.11.2024

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