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Der Unfall von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl)

  • Am 26. April 1986 kam es in Block 4 des Kernkraftwerks Tschornobyl in der Ukraine zu einem schweren Unfall.
  • Dabei wurden erhebliche Mengen radioaktiver Substanzen freigesetzt, die aufgrund hoher Temperaturen des brennenden Reaktors in große Höhen gelangten und sich mit Wind und Wetter über weite Teile Europas verteilten.
  • In der Folge wurden die in einem Umkreis von etwa 30 Kilometern um den havarierten Reaktor lebenden Menschen evakuiert oder zogen aus eigenem Antrieb fort.

Handmessgerät zur Messung der Ortsdosisleistung vor dem Reaktor von Tschornobyl. Das Display zeigt einen Wert von 3,04 Mikrosievert pro Stunde. Messgerät vor dem Reaktor von Tschornobyl (russisch: Tschernobyl)Messung der Ortsdosisleistung mit einem Handmessgerät am Reaktor von Tschornobyl im Rahmen einer Messübung im Jahr 2016. Zum Zeitpunkt des Unglücks waren die Messwerte weit höher.

Am 26. April 1986 ereignete sich im Block 4 des Kernkraftwerks Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) in der Ukraine der bisher schwerste Reaktorunfall in der Geschichte. Die weitreichenden und langwierigen ökologischen, gesundheitlichen – auch psychischen – und wirtschaftlichen Folgen dieses Unfalls stellten die damalige Sowjetunion und später Russland, Belarus und insbesondere die Ukraine vor große Herausforderungen – auch heute noch.

Unfallhergang

Das Kernkraftwerk Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) gehörte zu einem Reaktortyp, der ausschließlich in der ehemaligen Sowjetunion gebaut wurde. Wesentliche Unterschiede dieses Reaktortyps zu westlichen Reaktoren liegen darin, dass sie Graphit nutzen, um die Geschwindigkeit von Neutronen in der Kernspaltungsreaktion zu reduzieren, und keine druckdichte Beton- und Stahl-Sicherheitshülle um den Reaktorkern, das so genannte Containment, besitzen.

Während eines planmäßigen langsamen Abschaltens und eines gleichzeitigen Versuchsprogramms zur Überprüfung verschiedener Sicherheitseigenschaften der Anlage, kam es zu einer unkontrollierten atomaren Kettenreaktion. Dies führte zu einer Explosion des Reaktors, die das rund 1.000 Tonnen schwere Dach des Reaktorbehälters anhob. Mangels Containment lag der Reaktorkern infolge der heftigen Explosion frei, so dass radioaktive Stoffe aus dem Reaktor ungehindert in die Atmosphäre gelangten.

Das im Reaktor verwendete Graphit brannte. Bei den Lösch- und Aufräumarbeiten wurden viele Beschäftigte des Reaktors, Feuerwehrleute sowie als "Liquidatoren" bekannte Rettungs- und Aufräumkräfte einer extrem hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. Bei 134 von ihnen kam es zu akuten Strahlensyndromen. Die gesundheitlichen – auch psychischen – Folgen des Reaktorunfalls werden bis heute untersucht.

Die Freisetzungen radioaktiver Stoffe konnten erst nach 10 Tagen durch den Abwurf von ca. 5.000 Tonnen Sand, Lehm, Blei und Bor aus Militärhubschraubern auf die Reaktoranlage und das Einblasen von Stickstoff zur Kühlung des geschmolzenen Kernbereichs beendet werden.

In den Jahren 1986 und 1987 waren über 240.000 Personen als Liquidatoren innerhalb einer 30-Kilometer-Sperrzone rund um den havarierten Reaktor eingesetzt. Weitere Aufräumarbeiten wurden bis etwa 1990 durchgeführt. Insgesamt waren etwa 600.000 Liquidatoren für den Einsatz registriert.

Über den Unfallhergang und langfristige Planungen zum Rückbau der Anlage informiert das Bundesamt für Sicherheit in der nuklearen Entsorgung (BASE) auf seiner Webseite.

Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt

Aufgrund des Unfalls gelangten vom 26. April bis zum 6. Mai 1986 in erheblichem Maße radioaktive Stoffe in die Umwelt. Durch den 10 Tage anhaltenden Reaktorbrand entstand eine enorme Hitze. Mit dem thermischen Auftrieb gelangten tagelang große Mengen radioaktiver Stoffe durch das zerstörte Dach der Reaktorhalle in Höhen von vielen Tausenden Metern. Verschiedene Luftströmungen (Winde) verteilten die radioaktiven Stoffe über weite Teile Europas. Sie kontaminierten mehr als 200.000 Quadratkilometer, davon rund 146.000 Quadratkilometer im europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion.

Schilder in der 30-Kilometerzone um das Kernkraftwerk Tschornobyl (russisch: Tschernobyl) Schilder in der 30-Kilometerzone um das Kernkraftwerk Tschornobyl (russisch: Tschernobyl)Ein Schild warnt im Sperrgebiet vor dem "Roten Wald", einem Gebiet, das nach dem Unfall in Tschornobyl (russ.--russisch: Tschernobyl) am höchsten kontaminiert wurde.

Freigesetzt wurden unter anderem

  • radioaktive Edelgase wie etwa Xenon-133,
  • leicht flüchtige Stoffe wie radioaktives Jod, Tellur und radioaktives Cäsium, die sich mit dem Wind weit über die Nordhalbkugel, insbesondere über Europa, verteilten und
  • schwer flüchtige radioaktive Nuklide wie Strontium und Plutonium, die sich vor allem in einem Umkreis von etwa 100 Kilometern um den Unfallreaktor in der Ukraine und in den angrenzenden Gebieten von Belarus ablagerten.

Aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Halbwertszeiten waren radioaktives Jod und Xenon-133 drei Monate nach dem Unfall praktisch aus der Umwelt verschwunden. Cäsium-137 und Strontium-90 haben dagegen eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren und kontaminieren die Umwelt deutlich länger: 30 Jahre nach dem Unfall in Tschernobyl hat sich die Aktivität dieser radioaktiven Stoffe etwa halbiert. Plutonium-239 und Plutonium-240 haben mehrere Tausend Jahre Halbwertszeit – diese in der näheren Umgebung des Unfallreaktors vorzufindenden radioaktiven Stoffe sind bis heute praktisch nicht zerfallen, ihre Aktivitäten sind etwa so hoch wie 1986.

Ende April/Anfang Mai 1986 trafen die radioaktiven Luftmassen des Reaktorunfalls von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) in Deutschland ein. Aufgrund heftiger lokaler Niederschläge im Süden Deutschlands wurde Süddeutschland deutlich höher belastet als Norddeutschland. Die radioaktiven Stoffe lagerten sich unter anderem in Wäldern, auf Feldern und Wiesen ab – auch auf erntereifem Gemüse und Weideflächen.

Über die Folgen für die Umwelt in der näheren Umgebung des Reaktors sowie in Deutschland informiert der Artikel "Umweltkontaminationen und weitere Folgen des Reaktorunfalls von Tschornobyl".

Katastrophenschutzmaßnahmen

Der Unfall im Kernkraftwerk Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) hatte nicht nur Folgen für die Umwelt, sondern auch massive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung in den am stärksten betroffenen Gebieten in der nördlichen Ukraine, in Belarus und im Westen Russlands.

Verlassenes Riesenrad in Prypjat (bei Tschernobyl) Tschernobyl-Messübung 2016: Verlassenes Riesenrad in PrypjatAm 1. Mai 1986 sollte ein Vergnügungspark in Prypjat eröffnet werden. Die Stadt wurde am 27. April 1986 evakuiert; das Riesenrad steht seitdem.

Evakuierungen

Am Tag nach dem Unfall wurde die Stadt Prypjat evakuiert, sie ist bis heute nicht bewohnt. Das Gebiet in einem Radius von 30 Kilometern rund um das Kernkraftwerk Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) wurde anschließend zum Schutz der Bevölkerung vor hoher Strahlung zur Sperrzone.

Die Orte innerhalb der Sperrzone wurden evakuiert und aufgegeben – betroffen davon waren 1986 neben Prypjat auch Tschornobyl, Kopatschi und weitere Ortschaften. Die Sperrzone wurde später anhand der Höhe der Kontamination räumlich angepasst. Insgesamt wurden mehrere 100.000 Personen umgesiedelt (zwangsweise oder aus eigenem Antrieb).

Schutz vor radioaktivem Jod

Die Zahl der Schilddrüsenkrebserkrankungen stieg nach 1986 in der Bevölkerung von Weißrussland, der Ukraine und den vier am stärksten betroffenen Regionen Russlands deutlich an. Dies ist zum größten Teil auf die Belastung mit radioaktivem Jod innerhalb der ersten Monate nach dem Unfall zurückzuführen.

Das radioaktive Jod wurde vor allem durch den Verzehr von Milch von Kühen aufgenommen, die zuvor kontaminiertes Weidegras gefressen hatten. Dies gilt als Hauptursache für die hohe Rate an Schilddrüsenkrebs bei Kindern. Radioaktives Jod wurde außerdem durch weitere kontaminierte Nahrung sowie durch Inhalation mit der Luft aufgenommen. Nach Aufnahme in den Körper reichert es sich in der Schilddrüse an.

Wird genau zum richtigen Zeitpunkt nicht-radioaktives Jod in Form einer hochdosierten Tablette aufgenommen, kann verhindert werden, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse anreichert (sogenannte Jodblockade). Entsprechende Informationen der zuständigen Behörden gab es in den betroffenen Staaten der ehemaligen Sowjet-Union für die Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, jedoch nicht – auch nicht darüber, dass potenziell betroffene Lebensmittel, insbesondere Milch, nicht oder nur eingeschränkt verzehrt werden sollte. Dazu kam, dass die betroffene Bevölkerung oft keine Alternativprodukte zur Nahrungsaufnahme zur Verfügung hatte.

Schutzhülle am Reaktor

Reaktorgebäude in Tschernobyl mit Schutzhülle (2019) Reaktorgebäude in TschernobylSchutzhülle (New Safe Confinement) über dem havarierten Reaktor von Tschernobyl Quelle: SvedOliver/Stock.adobe.com

Um die im zerstörten Reaktorblock befindlichen radioaktiven Stoffe sicher einzuschließen und weitere Freisetzungen radioaktiver Stoffe in die Umgebung zu begrenzen, wurde von Mai bis Oktober 1986 eine als "Sarkophag" bekannte Konstruktion aus Beton und Stahl um den zerstörten Reaktor errichtet. Wegen der Dringlichkeit blieb keine Zeit für eine detaillierte Planung.

2016 wurde mit internationaler Unterstützung eine etwa 110 Meter hohe Schutzhülle - das "New Safe Confinement" - über den ursprünglichen Sarkophag geschoben und 2019 betriebsbereit in die Verantwortung der Ukraine übergeben. Die Schutzhülle ist rund 165 Meter lang und besitzt eine Spannweite von ungefähr 260 Metern; ihre projektierte Lebensdauer beträgt 100 Jahre. Der Rückbau des alten Sarkophags sowie die Bergung und sichere Endlagerung des darin enthaltenen radioaktiven Materials stehen als nächste Herausforderung an.

Konsequenzen für den Notfallschutz in Deutschland

Über die Folgen des Reaktorunfalls von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) für die Organisation und Umsetzung des radiologischen Notfallschutzes in Deutschland informiert der Artikel "Notfallschutz nach Tschornobyl: Konsequenzen für Deutschland".

Videos zum Thema

Tschornobyl – Zeitzeugen erinnern sich

Als 1986 das Kernkraftwerk in Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) havarierte, stand die Welt zunächst vor einem Rätsel. 2016 erzählten fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sie die Zeit nach Tschornobyl erlebt haben und wie der Unfall sie persönlich und in ihrem Arbeitsleben geprägt hat.

Stand: 26.10.2023

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